Edingen-Neckarhausen. (sti) „Begeben Sie sich in seine Welt, und versuchen Sie nicht, ihn in Ihre Welt zu holen.“ Diesen grundsätzlichen Rat gab Dieter Gerstner jetzt oder künftig betroffenen Angehörigen beim gut besuchten Demenz-Infoabend des Edinger Landfrauen-Vereins.
Gerstner arbeitete 40 Jahre in der Pflege, war Pflegedienstleiter im Kreispflegeheim und gab sein Wissen und seine Erfahrung als Unterrichtender weiter. Seit 20 Jahren setzt sich der jetzt 67-Jährige in seinem Wohnort Weinheim unermüdlich für die Schaffung und Vernetzung von Demenz-Hilfseinrichtungen ein. Er ist Referent im Gesundheitsausschuss des Rhein-Neckar-Kreises, betreut unentgeltlich zehn Familien mit dementen Angehörigen. Seine zahlreichen anderen ehrenamtlichen Funktionen ließ der bescheidene Referent im „Friedrichshof“ ebenso unerwähnt wie seine Nominierung für den Deutschen Engagementpreis 2012.
Unter dem Leitsatz „Demenz geht uns alle an“ sprach er über die häufigsten Arten dieser bislang unheilbaren Krankheit, über Symptome, vermutliche Risikofaktoren und Vorbeuge-Chancen und ermutigte mit Blick auf die enormen Belastungen für Partner, Kinder oder die ganze Familie, sich nicht zu scheuen, Hilfe von außen anzunehmen. „Im Bereich der Demenz muss mehr getan werden“, konstatierte Gerstner. Für Weinheim habe er den Ist-Bestand an Einrichtungen ermittelt: „Es gibt viel, aber noch nicht genug.“ Und nach wie vor sei Demenz ein Tabuthema. Dabei gebe es in Folge immer mehr hochbetagter Menschen in Deutschland zurzeit schon etwa 1,4 Millionen Erkrankte, davon 60 Prozent mit Alzheimer-Demenz; und jährlich würden es 280.000 mehr. Die Politik aber nehme „das Altern der Gesellschaft noch immer nicht ausreichend wahr.“
Der „anhaltende oder fortschreitende Zustand herabgesetzter Möglichkeiten des Denkens“ eines Dementen (von lateinisch „entgeistet, ohne Verstand“) habe stets eine individuelle Komponente. Daher sei eine gründliche ärztliche Anamnese wichtig, sprich die Frage nach der Biografie des Patienten, seinen Neigungen und Anlagen: „Wie war dieser Mensch als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener?“
Auch gebe es Referenz-Fähigkeiten wie Einkaufen, Bankgeschäfte erledigen, Kochen (und dann auch Essen) und Zurechtfinden in der Wohnung. Fähigkeiten, die zeigen, inwieweit jemand noch geistig klar im Hier und Jetzt lebt, oder aber mehr und mehr „in ein Anderland“, so Gerstner, entschwindet. Wobei zu unterscheiden ist zwischen Zerstreutheit und Demenz-Symptomen: Hier nur ein verwechselter Wochentag, dort aber die völlige zeitliche und räumliche Orientierungslosigkeit. „Den Schlüssel verlegen ist normal“, so der Referent, „aber Schmuck in den Kühlschrank legen, das ist problematisch.“
Die unvorbereitete Konfrontation mit der grausamen Krankheit überfordere oft die Angehörigen. Für Viele sei es schwer, das „Anderland“ ihres geliebten Menschen zu akzeptieren. Doch sei es zwecklos, gegenüber Demenz-Kranken, gerade im fortgeschrittenen Stadium, logisch zu argumentieren und sie zu verbessern. Erst recht solle man sie nicht kritisieren und ihnen ihre Defizite vorwerfen. Wichtig sei eine deutliche Aussprache, mit kurzen Sätzen, Wiederholungen, Schlüsselwörtern, mit verstärkter Mimik und Gestik. Man solle Vertrautheit schaffen, Orientierung fördern, Sicherheitsrisiken beheben und durch geeignete Maßnahmen dem Weglaufen vorbeugen. Letzteres könne aus räumlicher Verwirrung resultieren, aus dem Irrglauben, noch zur Arbeit zu gehen, oder aber eine Flucht vor imaginärer Gefahr darstellen. Wichtig sei es, frühzeitig professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. So empfahl der Referent einen „Pflegemix“, mit Sozialstation, Tagespflege-Einrichtungen wie etwa in Weinheim dem „Café Zeitlos“ und wenn möglich auch mit Nachbarschaftshilfe. Sonst sei es für den allein pflegenden Partner „irgendwann soweit, dass gar nix mehr geht“. Landfrauen-Vorsitzende Andrea Koch dankte Dieter Gerstner für einen rundum informativen Vortrag und unterstrich voll Anerkennung, dass der Referent sein Honorar für die Demenzbetreuung spendete.
Text und Foto: Stephan Kraus-Vierling/Rhein-Neckar-Zeitung